Von Hoffnung ist viel die Rede die vergangenen Monate. Aber eine radikale Hoffnung? Hoffnung schwindet doch gerade eher: Hoffnung auf Lockerungen, Hoffnung auf unkomplizierte Begegnungen und Nähe, Hoffnung auf unser „altes“ Leben. Was mag da „Radikale Hoffnung“ bedeuten? Radikal hat meist einen negativen Beigeschmack in unserer Alltagssprache. Dabei kommt das Wort vom lateinischen „radix“ – die Wurzel. Also etwas Fundamentales, etwas Tragendes, Lebenspendendes.
Die Wortkombination geht auf den amerikanischen Philosophen Jonathan Lear zurück. In seinem gleichnamigen Buch denkt er über die Bedeutung eines Ausspruchs des letzten großen Häuptlings Plenty Coups der Crow-Indianer nach. Er sagte: „Danach ist nichts mehr geschehen“. Das nomadische Jägervolk der Crow wurde durch das Verschwinden der Büffel und die (Zwangs)Ansiedlung in Reservate seiner Lebengrundlage und seiner Lebensform beraubt. Der Lebensraum, die Kultur, alles was die Crow definierte, wurde von den Weißen mit Gewalt zerstört. In diesem Moment der Krise hatte der Häuptling Plenty Coups einen Traum:
Er träumte, dass weiße, gefleckte Kühe aus einem Loch in der Erde kamen. Die Älteren interpretierten das so, dass die Weißen kommen und bleiben würden. Und dass es so kein Entkommen vor diesem Schicksal gibt. Ein Alptraum, doch paradoxerweise auch der Traum eines Neuanfangs.
Erst als die Crow das Ende ihrer Lebensweise radikal akzeptierten, konnten sie ihre Zukunft auch radikal neu denken. Können wir von den Crow lernen? Unsere Verletzlichkeit als Menschen erleben wir gerade sehr drastisch: unsere Körper unsere Strukturen, unsere Art zu wirtschaften, unsere ganze Lebensweise steht auf dem Prüfstand. Radikale Hoffnung kann hier nur bedeuten: Es wird ein DANACH nach dem „Danach ist nichts mehr geschehen“ geben.
Wilfred Nann
Leiter der kath. Erwachsenenbildung Ostalb